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Die Nazijägerin

Die Nazijägerin

Seit mehr als 30 Jahren fährt Irmela Mensah-Schramm durch Deutschland, um rassistische Graffiti und Aufkleber zu entfernen. Sie erlebt ein Land, in dem Menschen Hakenkreuze an Wände schmieren – und sich nur wenige daran stören

(Erschienen in: Der Spiegel, Ressort Reporter, Ausgabe 2/2021. Zur Online-Version)

Es begann mit Rudolf Heß. Sie sah den Aufkleber am Morgen auf dem Weg zur Arbeit, es war 1986, und der Sticker prangte an der Scheibe des Wartehäuschens einer Ber­liner Bushaltestelle. Irmela Mensah-Schramm stieg in den Bus, Linie 118, und fuhr zur Arbeit, sie war heilpädagogische Lehrkraft an einer Schule für Menschen mit geistiger Behinderung. »Freiheit für Rudolf Hess« hatte auf dem Aufkleber gestanden. Heß, Hitlers Stellvertreter in der NSDAP, saß damals wenige Kilometer ­entfernt im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis. Als Mensah-Schramm im Bus saß, dachte sie: Du Vollidiotin, warum hast du den Aufkleber nicht entfernt?

Es sei ein langer Arbeitstag gewesen, erinnert sich Mensah-Schramm heute. Doch am Abend, als sie aus dem Bus stieg, habe sie ihren Schlüsselbund genommen und über das Glas gekratzt.

Es war der erste Aufkleber, den sie entfernte.

Mensah-Schramm lebt mit zwei Katzen in einer Wohnung im Südwesten Berlins, 110 Quadratmeter, sie hat sie vor Jahrzehnten vom Vater geschenkt bekommen. Sie ist inzwischen 75 Jahre alt, trägt graues Haar und eine Brille, manche Medien nennen sie Oma, doch sie hat keine Kinder und keine Enkel. Sie serviert Kaffee und Gebäck, während sie erzählt, wie aus diesem ersten Sticker eine Berufung entstand.

Das Entfernen von rassistischen und rechtsradikalen Zeichen im öffentlichen Raum ist für Mensah-Schramm eine Lebensaufgabe geworden. Seit mehr als 30 Jahren fährt sie durch Deutschland und entfernt Aufkleber und Graffiti. Meist sucht sie ganz gezielt die Orte auf, an ­denen kurz zuvor etwas geschehen ist, an denen sich rassistische Straftaten ereignet haben. Früher fuhr sie nach Feierabend los oder am Wochenende, inzwischen ist sie viermal pro Woche unterwegs, seit 2006, seit sie Rentnerin ist. 

In ihrem Schlafzimmer stehen ein Bett, zwei Nachttische und 124 Ordner in Holzregalen, sie umgeben sie wie eine Panzerung. Man findet in ihnen die Dinge, die Mensah-Schramm in all den Jahren aus der Welt getilgt hat, sie heftet entfernte Aufkleber ab und klebt Fotos der Graffiti ein. Mensah-Schramm hat Sticker abgelöst, auf denen »Die Lüge der Befreiung« stand oder »Ausländer raus«, und den Schriftzug »Nazi Area« abgeschrubbt. Sie hat Aufkleber der Deutschen Volksunion entfernt, der Identitären Bewegung und Aufrufe zum »Nationalen Widerstand«. Knapp 90 000 Sticker habe sie allein seit 2007 entfernt, als sie anfing zu zählen, so sagt sie, und rund 10 000 Graffiti.

Ihr Archiv ist eine Zeitreise durch das wiedervereinte Deutschland, es enthält Bilder eines Landes, in dem Rassismus, Antisemitismus und rechter Hass so alltäglich sind, dass sie an Straßenschildern, Regenrinnen und Häuserwänden prangen. Mensah-Schramms Ordner sind auch die Chronik ihres persönlichen Kampfes, der sie seit Jahrzehnten durch ein Land führt, in dem die einen Hakenkreuze an Wände sprühen und die meisten anderen daran achtlos vorbeilaufen.

Mensah-Schramm sagt, sie sei oft vor Sonnenaufgang wach. Manchmal google sie einfach nur ein Wort: Neonazis. Sie klicke sich durch Meldungen, drucke aus, was ihr wichtig erscheine. Neben ihrem Bildschirm stapelt sich Papier, auf einem meterlangen Kalenderplakat trägt sie ihre nächsten Ziele ein. Ihr Kampf führte Mensah-Schramm in den vergangenen Jahren nach Freital, nach Rügen, Wuppertal, Dortmund und München, sie war in Halle und Eisenach. Sie wurde auf diesen Reisen beschimpft, bedroht und angezeigt. 

In ihren ersten Jahren habe sie ihre Beobachtungen auf Zettel geschrieben, sagt sie, an diesem Tag in ihrer Wohnung hält sie ein kariertes Notizheft im Format DIN A6 in den Händen. Sie hat 1991 angefangen, sogenannte Aktionsbücher zu führen. Seitdem schreibt sie ihre Beobachtungen auf, notiert jeden Fund mit Datum, 80 Hefte hat sie inzwischen vollgeschrieben. Sie blättert darin, ihre Schrift ist kaum lesbar, auch für sie selbst, alles stammt von unterwegs. Manchmal sind es Fragmente, hastig hingeschrieben, dann Anekdoten, seitenlang. Über 10 000 Seiten insgesamt.

Die Aufzeichnungen beginnen kurz nach der Wende, Kugelschreiber auf grau-kariertem Recyclingpapier:

19.5.1991

ca. 20:10 Uhr. Bus-Haltestelle Rehwiese-Span.Allee in Ri Zehlendorf, ich übersprühte das riesen Hakenkreuz u. 2 andere Faschozeichen am Kiosk, da kommt ein ca. 16 oder 17 jähr. Fahrradfahrer u. pöbelte mich entsetzt an, was ich da wegmachen würde u. warum, ich würde die (ohnehin total verschmierte) Kioskwand »versauen«. Dann folgte weiter: Das Hakenkreuz könne u. solle so dranbleiben. »Sie Kommunistensau«, so was wie Sie wäre ins KZ gekommen [...]. 

Die Katzen streifen über die Holzdielen, das Korbsofa knarzt. In einem Rucksack und in Jutebeuteln bewahrt Mensah-Schramm ihr Arbeitsmaterial auf. Auf ­einem der Beutel steht »Wer von Asylflut redet, hat Ebbe im Gehirn«. 

Gegen Aufkleber, sagt sie, nehme man am besten einen Ceranfeld-Schaber, man versuche, vorsichtig unter den Sticker zu gelangen, um ihn abzulösen. Wenn das gelinge, könne er in Gänze in einem der Aktenordner abgeheftet werden. Wenn das nicht gelinge, müsse er in Einzelteilen abgekratzt werden. Für Aufkleber, an die sie nicht rankommt, hat sie eine Verlängerung gebaut, aus Tape und einem Plastikrohr.

Gegen Edding auf Plexiglas, beispielsweise an Bushaltestellen, helfe der acetonhaltige Nagellackentferner, Aloe-Vera-Duft, 45 Cent, von dm.

Bei Graffiti könne man es mit Pinselreinigern versuchen, wenn das nichts bringt, helfe nur übersprühen.

Ob das Sachbeschädigung ist?

Man kann nichts beschädigen, was schon beschädigt ist, findet sie.

Sie hat Spraydosen in Schwarz, Rot und Blau, sie kauft sie im Baumarkt, manchmal schenkt ihr ein befreundeter Graffiti-Künstler die Farbe.

Aus einer Odal-Rune formte sie ein Strichmännchen. Aus Hakenkreuzen ein Herz. Wenn sie wütend ist, übersprüht sie die Graffiti großflächig, bis nichts mehr zu sehen ist. Sie entfernte:

1.8.98 

Mannheim: 4 Riesen (!) Hakenkreuze

1 x mit »Heil Hitler«

3x SS

1x 88

(bedeutet jeweils 8. Buchstabe (H) =

HH = »Heil Hitler«) 

13.3.99 

Bergen / Rügen (Busbahnhof): 

1x »SS«

1x »SS SA-GERMANIA«

und 3 große Hakenkreuze 

2x »88«

1x NSDAP u. Hakenkreuz 

5.2.00 

Wuppertal-Oberbarmen:

-Reste v. Heß-Aufkleber

-»Deutschland fickt die Türken«

-mind. 5 Hakenkreuze

-1 Riesen-Hakenkreuz mit »Rein Arisch Doitsch«

-»Adolf Hitler-D«

Mensah-Schramm wurde 1945 in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung geboren. Sie hörte schlecht und schielte, sie hatte zwei Geschwister, die Mutter war Hausfrau, der Vater Staatsschauspieler in Stuttgart, er trank viel und war nie da, die Eltern ließen sich früh scheiden, eine typische Nachkriegsehe, sagt sie. An ihrer Mutter habe sie mehr gehangen als umgekehrt. Sie lernte Hauswirtschaft, zog weg, in ein Dorf in Süddeutschland, arbeitete dort als Kinderpflegerin. Dort seien die Leute »braunschwarz« gewesen, sagt sie heute. Als sie ihre Tante in West-Berlin besuchte, verliebte sie sich in die Stadt. Der Senat bot berufsbegleitende Ausbildungen als Erzieherin an. Sie zog 1969 in ein Dienstzimmer am Stadtrand.

Am Anfang, vor der Wende, sei sie nur sporadisch unterwegs gewesen, nach der Grenzöffnung seien die S-Bahnen furchtbar beschmiert gewesen, sie habe hier und da eingegriffen. Nach und nach wurde es ihre wichtigste Aufgabe, sagt Mensah-Schramm. 

Während sie über die Jahre hinweg die Sticker abrubbelte und Runen entfernte, attackierte 1992 ein Mob in Rostock-Lichtenhagen Unterkünfte für Asylbewerber und Vertragsarbeiter, erwürgte 1995 ein Neonazi den aus Nepal geflohenen Sanjib Kumar Shrestha, starb 2005 Oury Jalloh in einer Zelle im Keller des Polizeireviers Dessau-Roßlau, wurden zehn Menschen zwischen 2000 und 2006 Opfer des rechts­terroris­tischen NSU.

Sie las darüber, setzte sich in den Zug, begann mit der Arbeit, die still ist, die nicht Neues erschafft, sondern Altes löscht. Eine Arbeit, mit der man jeden Tag von vorn beginnen muss, wenn man sie gut machen will. 

Zuerst wusste niemand, dass eine 1,65 Meter große Frau mit Rucksack und Jutebeutel durch das Land reist, um Spuren zu löschen. Sie operierte, wenn man so will, im Untergrund. Dann berichteten die Medien, sie wurde sichtbar. 

Mensah-Schramm wurde mehrfach festgenommen: 1988 bei einer Mahnwache für Nelson Mandela; 2018, als sie gegen die AfD protestierte. 2019 stand sie wegen Sachbeschädigung vor Gericht, vom Amtsgericht Eisenach wurde sie zu 15 Tages­sätzen à 70 Euro verurteilt, sie hatte unter anderem den Schriftzug »Nazi Kiez« an ­einem Haus mit einem Herz übersprüht.

Die von ihr gesammelten Sticker wurden im Deutschen Historischen Museum Berlin ausgestellt. Sie gab ihren Bundesverdienstorden zurück, nachdem sie erfuhr, dass der ehemals für die NPD aktive Heinz Eckhoff ebenfalls einen erhalten hatte. 

Sie brach sich die Kniescheibe, als sie aus dem Bus ausstieg und stolperte, die Schulter, als sie zum Stickerentfernen auf einen Einkaufswagen kletterte und fiel. Sie wurde von einem Motorradfahrer bedroht und von einer Gruppe Skinheads umzingelt. Sie erlitt eine Gehirnerschütterung im Berliner S-Bahnhof Friedenau:

24.11.92

Alte Stelle – alte Sprüche. Zwar war wohl zuvor versucht worden dies auszustreichen, aber es war noch deutl. zu lesen:

»Türken = Hurensöhne Arschficker« u. dgl. Ich hatte mich gerade rangemacht, dies auszustreichen, da raunzte mich von hinten ein bulliger Typ vom Wachdienst an »ich solle das Schmieren sein lassen« u. verlangte auch gleich m. Fahrausweis. Den gab ich ihm unter dem Hinweis, dass ich nicht schmiere, sondern ausstreiche. Und da ich davon überzeugt war, strich ich weiter aus. Darauf griff mich der Typ an, indem er meine Hand sehr grob packte und mich mit s. körperl. Gewalt gegen die Wand der Infotafel stieß! Ich befreite mich freilich, indem ich ihm auf den Arm schlug u. versuchte, zurück zu schubsen, u. rief um Hilfe. Worauf zum einen der Hund des anderen Wachschutzes auf mich losgehen wollte u. der bullige Typ mich dann mit einem Überraschungsangriff so ergriff, geschubst verlor ich den Halt und knallte voll nach hinten und schlug mit dem Hinterkopf rechts seitl. auf. Er behauptete ich habe mich fallen gelassen, was jedoch nicht stimmte!

Ihr Telefon begann ab Mitte der Neunzigerjahre immer häufiger zu klingeln. Sie spielt eine Anrufbeantworteraufnahme aus dem Mai 1996 vor. Man hört einen Mann, der so sachlich klingt, als wollte er einen Termin beim Steuerberater vereinbaren: »Guten Tag, Frau Schramm. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass wir Sie auf die Liste der für den Tag X in Deutschland un­erwünschten Personen gesetzt haben, als Reaktion auf ihre unverschämte Ausstellung in der Bücherei Wilmersdorf. An diesem Tage sollten Sie sich dann besser in einem ausländischen Land einen Asylplatz suchen, denn in einem befreiten Deutschland wird für Sie kein Platz mehr sein.«

Seit sie im Internet aktiv sei, hätten die Angriffe zugenommen, sagt Mensah-Schramm. Ihre E-Mail-Adresse kann man im Internet finden, meist sind es Männer, die ihr Nachrichten schreiben. Wie diese: »Du dreckige Bolschewistenfotze. Lass ja deine Pfoten von fremden Eigentum! Bloß gut, dass du eh bald verreckst, du Drecksau!« Unter ein YouTube-Video schrieb jemand: »Wenn ich diese antidemokratische meinungsfreiheitsfeindliche Drecksfotze irgendwo treffe, schlage ich sie tot.«

3.11.16 

Bautzen: Die Polizisten meinen zum Zahlencode »88«, das sei nur eine Zahl – von »HH« wollten sie nichts wissen u. gingen auch nicht darauf ein!

Am häufigsten tilgt sie Zahlen. 18 und 88. Sie stehen für den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets, also für AH (»Adolf Hitler«) und HH (»Heil Hitler«).

Sie hat nicht studiert, sie ist keine Wissenschaftlerin, aber nach all der Zeit ist sie dennoch zu einer Soziologin des Alltags geworden. Sie weiß, wo sie suchen muss. Es gibt Orte, da kann der Tag noch so lang sein, die Stunden reichen nicht, um alles zu beseitigen. In Berlin-Rudow, in Wurzen oder in Dessau-Roßlau. Massiv geklebt, sagt Mensah-Schramm, werde vor allem an Nazi-Gedenktagen, wie der Bombardierung Dresdens Mitte Februar.

Sticker, sagt sie, brächten meist die Jungen an, die Älteren würden eher Kon­zerte organisieren. Graffiti finde sie vor ­allem in Unterführungen. Es werde weniger ­gesprüht, seit der Videoüberwachung von S-Bahnen und anderen Orten sei die Hemmschwelle gestiegen.

Ob die Botschaften generell weniger ­geworden sind?

Nein.

Das Schlimmste, das sie je entfernt hat?

Gesprüht auf Putz: »Was die Juden schon hinter sich haben, haben die Türken noch vor sich.«

21.7.94

Bin glücklich! Konnte beide Hakenkreuze am Anhalter-Bf mit Erfolg (und Pinselreiniger) entfernen! Anschl. d. Bahnleute angesprochen, folgende Reaktionen:

1. d. ältere recht positiv – auch wenn er ein paar Argumente dagegenhielt, (»kann Sie verstehen,- aber es wird wieder geschmiert,...keine Gelder,...ich ignoriere das, ... es wird sowieso alles schlimmer ...«) der Jüngere (Azubi?) reagiert gereizt, »sie müssen det ja gar nicht entf.,- stört doch keenen..« Ich sagte mich stört dies! Und es müsste eigentlich jeden Menschen stören!

Wie sie politisch wurde? Sie erzählt es so: 1979 machte sie eine Kur in Bad Mergentheim, dort lernte sie Aktivisten kennen, die sie zu einer Demo nach Hannover einluden. Gemeinsam fuhren sie in einer graublauen Ente zur Kundgebung, bei der rund 100 000 Menschen gegen Kernenergie demonstrierten. Zurück in Berlin nahm sie an Sitzblockaden der Friedensbewegung teil und half für Amnesty International Geflüchteten.

In ihrer Familie sei die NS-Zeit nie ein Thema gewesen, sagt Mensah-Schramm. Ihre Eltern seien keine Parteimitglieder gewesen, der Vater sei 1941 eingezogen worden. Er kämpfte in Stalingrad, landete im Lazarett mit einer Hirnverletzung. Die Mutter sei während des Kriegs Kinderkrankenschwester gewesen. Als die Eltern sich trennten, blieb sie bei der Mutter, die fast nie über den Krieg sprechen wollte, egal wie viel die Tochter fragte.

Dieses Schweigen, das viele Kinder der Nachkriegszeit kennen, habe sie nur schwer ertragen können. 1992 starb die Mutter.

25.11.94

Als ich gerade an d. Kirche (unmittelbar am Anhalter Bf) den Hausmeister antraf. Ich fragte ihn, weshalb an der Kirche die vielen Hakenkreuze nicht entfernt werden.

(Recht irritiert) meinte der braungebrannte Herr – als ich den Pfarrer ansprach, daß dieser »nicht zuständig« sei. Ich zeigte ihm m. Verwunderung u. entgegnete ihm, daß auch ich als Passantin dann auch nicht zuständig sei – u. dennoch mich mit verantwortlich fühle, d. h. diese Schmiererei rd um den Platz – soweit mir möglich war – entfernte.

Mir eine Antwort schuldig bleibend entschwand er durch die Tür in s. Dienstwohnung – gleich neben einem fetten u. großen Hakenkreuz!

Ihren ersten Ehemann traf sie in Berlin, beim Feiern. Sie erkrankte an Krebs, die Ehe ging später auseinander. Ihren zweiten Mann lernte sie über Bekannte kennen, sie heiratete ihn in Ghana. Auf die Frage, ob es Liebe gewesen sei, sagt sie: Wir haben uns gemocht. Er habe sie dann betrogen und mit einer anderen ein Kind gezeugt. Das Kind sollte nicht ohne Vater aufwachsen, fand sie, und ließ ihn gehen. Seinen Namen behielt sie. Über sich selbst sagt sie, dass sie Kinder gewollt hätte, aber es eben nicht passiert sei.

Mensah-Schramm sagt, früher sei sie viel gereist, meist allein. In Madagaskar habe sie sich einmal allein in den Regenwald gewagt, dort habe sie die Augen ­zugemacht, um sie herum nur Wald und Stille. Die Reisen, sagt sie, habe sie sehr genossen. Sie war mal in Malay­sia, im ­Taman-Negara-Nationalpark, es sei sehr schön gewesen, nur die Deutschen hät­ten genervt mit ihrem blöden Ge­schwätz. Im Urlaub habe sie oft gedacht: Hättest du mal dein Putzzeug mitgenommen.

1.9.11 

Blankenfelde: Heute ist (eigentlich) mein ganz großer Tag: 25 Jahre mein Engagement und keinen Arsch interessiert das!

Dennoch habe ich 1 Gläschen Sekt getrunken und mir 1 Topfrose (alt rosé) gekauft! Für mich ganz allein!

Viele glauben, dass vor einer Tat das Wort stehe. Mensah-Schramm sagt, das Hinschmieren komme vor dem Aussprechen. Es sei einfach, man könne es in der Nacht tun, anonym. Es sind Nachrichten aus dem Unterbewusstsein eines Landes. Manchmal bekomme sie Hinweise von Menschen, die ihr sagen, wo es etwas zu entfernen gebe. Sie fahre hin, frage sich aber auch: Warum entfernen die Leute es eigentlich nicht selbst? 

21.6.04 

Verden / Aller: Hielt ein elegant wirkender »Gentleman« mit s. Auto an – d. h. er kam rückwärts zu mir gefahren, »nur« um mir zu sagen: »Sie machen doch die rechten Aufkleber ab?« (ich »ja«) Er: »Ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken«!

Mensah-Schramm glaubt, dass Rassismus früher »stumpfer« war. Menschen hätten »Ausländer raus« gebrüllt oder »die Türken« beschimpft. Heute sei Rassismus subtiler, verdeckter, gefährlicher und, ja, sagt sie, auch schlimmer. Heute heiße es: »Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber ...« 

Sie sagt, sie führe keinen Krieg gegen die Rechten, sie sei Pazifistin.

Sie frage sich oft: Wieso mache ich das eigentlich? Wieso kann ich nicht aufhören?

»Das quält mich«, sagt sie. 

Am Morgen nach dem Anschlag von Hanau beispielsweise habe sie wie immer die Nachrichten gelesen. Es sei, auch wie immer, eine Hitze in ihr aufgestiegen, die Wangen hätten sich rot gefärbt. Es habe sich angefühlt wie Fieber. Der Rest des ­Körpers sei kalt gewesen, so kalt, dass sie sich in eine Decke einwickeln musste. In diesem Zustand habe sie dort gesessen. Acht Tage später sei sie hingefahren.

28.2.20

Hanau: 1 einziger, älterer JN-Sticker »Grenzen Dicht«. 2 zerstörte (von wem wohl) Antifasticker! Wir waren dort, wo die 9 Menschen erschossen wurden. Mir kamen die ­Tränen! Die Anteilnahme ist aber unübersehbar! Wir kamen gerade dazu, als auf dem Marktplatz die Trauerfeier für zwei der Ermordeten begann. Ich denke mal mehr als 1000 Menschen! Überall Polizei! Diesmal aber ist es gut u. richtig! Hoffentlich fühlen sie mit!

Sie spricht nicht mit Rechten, sie versucht nicht, sie zu bekehren, sie will ihnen nur zeigen, dass ihnen der öffentliche Raum nicht gehört.

An einem sonnigen Nachmittag im November 2020 reist Mensah-Schramm nach Roßlau. Seit der Corona-Pandemie muss sie aufpassen; sind die Infektionszahlen an einem Ort zu hoch, schiebt sie die Fahrt auf. Unter einer Regenrinne streckt sie sich und kratzt einen Aufkleber ab. Selbst mit ihrem Ceranfeld-Schaber mit der Verlängerung kommt sie kaum heran, das Metall quietscht, vom Sticker bleiben Reste.

Ein Mann tritt aus dem Haus, auf seiner Glatze ein Pflaster, und schreit: »Sie können doch nicht an dem Rohr da rumkratzen, das ist Sachbeschädigung!«

»Das geht Sie gar nichts an.«

»Natürlich geht mich das was an, das ist unser Eigentum, was ist denn los mit Ihnen? Wer sind Sie denn? Ich glaube, ich spinne, oder was?«

»Ja, vielleicht.«

»Sie haben nicht alle Latten am Zaun, Oma! Verschwinde!«

Mensah-Schramm zeigt auf ein großes Stück Stoff auf dem Dach. Eine riesige Reichsflagge weht im Wind. Ein zweiter Mann tritt aus dem Haus, größer, bulliger. Sie atmet schwer und dreht ihm den Rücken zu. Sie geht, mit festem Schritt. Ein paarmal schaut sie zurück. Später im Regio­nalexpress nach Berlin öffnet sie eine Tupperdose mit Weintrauben und schaut aus dem Fenster.

Sie sagt, sie liege nachts immer häufiger wach. Wenn sie durchs Land fahre, fühle es sich an wie das Feuerlöschen bei einem  Flächenbrand, sie mittendrin

19.1.11 

Bln-Lichtenberg: Langsam habe ich das Gefühl, je schlechter es mir geht, desto mehr bin ich auf der Jagd, d. h. desto rastloser bin ich! Vermutlich ist es auch die Angst, irgendwann nichts mehr gegen die Nazis tun zu können! 

Sie sei vorsichtiger geworden, sagt Mensah-Schramm. Sie stürze häufig, einmal sei sie sogar kopfüber die U-Bahn-Treppe hin­untergefallen.

Sie ist seit 35 Jahren in ganz Deutschland unterwegs.

Sie trinke keinen Kaffee mehr, zur Entspannung gehe sie baden. Sonntag immer ein langes Bad, 20 Minuten, und Montag bis Samstag ein kleines Bad, bis zu 15 Minuten. Ein Fazit will sie nicht ziehen, es gebe keines, sagt sie, außer, dass es eben nie ende. Vielleicht, sagt sie, erinnern sich irgendwann Menschen: Da war mal eine Frau, die hat gegen die Nazis gekämpft.

Am Abend, als sie aus Roßlau nach Hause kommt, ist es bereits dunkel, sie könnte jetzt das Abendbrot zubereiten, stattdessen setzt sie sich an den Computer und liest Artikel über Rechtsextremismus, Dutzende druckt sie aus, der Bildschirm beleuchtet ihr Gesicht. Sie liest laut vor: »Rassistische Attacke in Bremen-Huchting.«

Da müsse sie hin, am besten sofort.

Zwischendurch kommt der Paketbote und bringt ein Päckchen. Sie nimmt es, wirft es in die Ecke, der Drucker surrt leise weiter.