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Taubenmekka

Taubenmekka

Warum der Belgier Joel Verschoot einen Wachdienst für seine Taube engagierte

(Erschienen in: Der Spiegel, Ressort Reporter, Ausgabe 17/2019. Zur Online-Version)

Als der Preis seiner Taube bei einer halben Million Euro lag, griff der Rentner Joël Verschoot seine Matratze und trug sie hinein in den Taubenschlag. Er legte sich in den Geruch von Kot und schlief dort sieben Nächte lang. Taubenkot ist aggressiv, in ihm kann ein Pilz entstehen, der sogar in Gestein hineinwächst. Aber Verschoot wollte handeln, seine Taube bewachen, sie vor Dieben schützen.

Joël Verschoot ist 63 Jahre alt, das Haus, in dem er seine Geschichte erzählt, steht in einer kleinen Stadt, sie heißt Ingelmunster und liegt in Westflandern, Belgien. Es ist knapp fünf Wochen her, da berichteten Zeitungen aus aller Welt über ihn, den gelernten Schlachter, der eine Taube gezüchtet hatte, teurer als vier Lamborghini. Die teuerste Taube der Welt.

Doch eine Taube kommt nicht mit Preisschild auf die Welt, sie muss viele Rennen erfolgreich fliegen, dann steigt ihr Wert, sie darf sich dabei nicht in einem Stromkabel verheddern oder im Nebel verirren. So war es auch bei dem Vogel mit der Kennziffer »BE\14-3004610«, der im Januar 2014 in Verschoots Taubenschlag aus einem Ei schlüpfte: Armando.

Verschoot kennt sich aus mit Tauben. Als er noch ein Junge war, hatte sein Vater 80 Brieftauben. Immer freitags setzte Joël vier von ihnen in eine Box, klemmte sie auf den Gepäckträger und radelte zum örtlichen Brieftaubenverein. Die Züchter brachten alle Vögel aus dem Umkreis an einen Ort, von dem aus sie so schnell wie möglich nach Hause fliegen sollten. Manchmal gewannen die Tauben der Verschoots, meistens gewannen sie jedoch nicht. Als Verschoot älter war, lernte er Schlachter. Tagsüber schnitt er Kühe und Pferde in vier Teile, abends kümmerte er sich um seine Tauben. Am Wochenende ließ er sie um die Wette fliegen. Kaufen wollte sie kaum jemand. So ging das viele Jahre.

Kurz vor der Rente begann Verschoot, seinen Vögeln mehr Zeit zu widmen. Er arbeitete nur noch in den Nächten im Schlachtbetrieb, schlief, wenn die Tauben ruhten. Sie hatten jetzt eine feste Routine: morgens Futter, dann eine Runde fliegen und ab in den Schlag. Abends wieder die Runde. Sie gewannen jetzt Rennen, Verschoot erstellte eine Website: »Verschoot Pigeons Loft«. In diesen Jahren wurde aus dem Taubenbesitzer ein Taubenzüchter. Einer, der mithalten konnte in Belgien, dem Mutterland des Taubensports.

Columba livia domestica, so der wissenschaftliche Name der Taube, war seit den Griechen ein wichtiges Tier. Sie lieferte Fleisch, aber auch Neuigkeiten. Als Napoleon den Briten im Jahr 1815 bei Waterloo unterlag, war es eine Brieftaube, die die Nachricht überbrachte. Drei Jahre später fanden in Belgien die ersten Wettflüge statt. In Deutschland galt das Tier lange Zeit als Rennpferd des kleinen Mannes.

Heute ist die Taube eher ein teures Tier. Die wertvollsten Exemplare kommen aus Belgien, was am steigenden Interesse aus China liegt und auch am belgischen Unternehmen Pipa, eine Abkürzung für Pigeon Paradise. Es erstellt Rankings und dient als Auktionsplattform, eine Art Ebay für Tauben. Laut Pipa werden es zum Ende des Geschäftsjahres 2018/19 rund 10 000 Tauben sein, die in diesem Zeitraum für insgesamt 25 Millionen Euro versteigert wurden.

Armando war keine sechs Monate alt, da flog er sein erstes Rennen, knapp 180 Kilometer vom französischen Clermont zurück ins belgische Ingelmunster. Nach Flügen gab Verschoot ihm den Energietrunk »Hyp 100«. Armando sei zurückhaltend gewesen, er habe getrunken wie die anderen und mit ihnen trainiert. »Wenn Armando ein Rennen begann«, sagt Verschoot, »sind die anderen erst mal ein paar Runden im Kreis geflogen.« Armando habe nur an eins gedacht: »Nach Hause.« Bei einem Rennen zurück aus Limoges, im Sommer 2017, wurde er Zweiter von mehr als 9000 Tauben. Drei Wochen nach dem Rennen saß Verschoot mit einem Chinesen an seinem Küchentisch und trank grünen Tee. Der Mann war den weiten Weg gekommen, um mit ihm ein Geschäft zu machen. Armando. Wie viel er für die Taube haben wolle?

Armando gehörte zu den schnellsten Tauben Belgiens. Verschoot hätte ihn verkaufen können, aber vermutlich hätte er nicht mehr als 400 000 Euro für ihn bekommen, was zu der Zeit der Rekordpreis für eine Taube war. Er überlegte: Würde Armando weiterfliegen, ohne sich zu verletzen, sein Wert würde steigen. »Ich habe nichts gesagt und abgelehnt«, sagt er. »Stark, oder?«

2018 flog Armando die besten Rennen seiner Karriere. Er wurde die schnellste Taube in Belgien, dem Taubenmekka, und damit auch, so sagen viele, zur schnellsten der Welt.

Am 4. März 2019 gab Verschoot Armando zur Auktion frei. Nach knapp einer Woche lag der Preis bei einer halben Million, dann kam der Tag, an dem Verschoot seine Matratze griff und in den Taubenschlag trug. Seine Frau fragte ihn, ob er verrückt geworden sei. Einige Tage später wählte er die Nummer der Firma Key4ce Security. Es kamen schwarz gekleidete Männer auf sein Grundstück, an den Füßen schwere Sicherheitsstiefel. Sie stellten sich vor Armandos Taubenschlag, bewachten ihn in Schichten, 3000 Euro zahlte Verschoot den neuen Beschützern. Die Auktion ging über zwei Wochen, das Höchstangebot kam von dem Chinesen, der damals an seinem Küchentisch gesessen hatte, er hatte Armando nicht vergessen und zahlte: 1 252 000 Euro.

Verschoot und seine Familie feierten in dieser Nacht bis zum Morgengrauen. Kurz nach der Auktion wurde Armando abtransportiert. Noch befindet er sich in Belgien. Wo, will Verschoot nicht verraten, »aus Sicherheitsgründen«.

Verschoot ist jetzt Millionär. Wenn man ihn fragt, was er mit dem Geld machen werde, zeigt er eine Klarsichtfolie, darin ein Bild. Eine Wohnung im zweiten Stock, altersgerechtes Wohnen in Ingelmunster. Und mit dem Rest? Verschoot besitzt einen acht Jahre alten E-Klasse-Mercedes, der gerade in der Werkstatt steht, und einen Peugeot, in dem die Kupplung quietscht. Fällt ihm wirklich nichts ein?

Ins französische Lourdes wolle er gern reisen, zu dem Wallfahrtsort, Verschoot war schon viermal dort, eine Autofahrt von elf Stunden, nicht weit von zu Hause.