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"Vielleicht sind wir allein"

“Vielleicht sind wir allein”

Jill Tarter hat ihr Leben lang nach Signalen von Außerirdischen gesucht. Die Astronomin hat sich gegen Zweifler durchgesetzt und gegen Männer. Ein Gespräch über das Weitermachen

(Erschienen in: Die Zeit, Ressort Wissen, Ausgabe 14/2021. Zur Online-Version)

In Kalifornien ist es Mittag, aber Jill Tarters virtueller Hintergrund in der Videokonferenz zeigt einen Sternenhimmel. Ihre kurzen weißen Haare fallen ihr in die Stirn, ihr Blick hat etwas Herausforderndes. Manchmal ruft sie ihrem Ehemann, ebenfalls Astronom, über die Schulter eine Frage zu: "Jaaack, wie hieß noch mal ...?"

DIE ZEIT: Frau Tarter, beobachten Sie manchmal noch einfach so die Sterne?

Jill Tarter: Oh ja. Manchmal, wenn ich bei Dunkelheit mit dem Auto unterwegs bin, fahre ich rechts ran und steige aus. Ich gehe ein paar Schritte und schaue nach oben – dann kann ich mich einfach im Himmel verlieren.

ZEIT: Als Astronomin suchen Sie mit Teleskopen nach Außerirdischen. Wie genau machen Sie und Ihre Kollegen das?

Tarter: Wir horchen mit ihnen ins Weltall, indem wir elektromagnetische Wellen aufzeichnen, in Frequenzen, die das Auge nicht erkennt. In den Daten suchen wir nach Mustern, die in der Natur so nicht vorkommen. Es ist wie bei einem riesigen Radio: Meist hört man Rauschen, nur auf bestimmten Kanälen wird gesendet. Für die Natur ist es unmöglich, Töne in einer wiederkehrenden, immer gleichen Frequenz zu erschaffen, das geht nicht ohne Technik. Deshalb suchen wir nach konstanten Signalen.

ZEIT: Wann haben Sie sich zum ersten Mal gefragt, ob es da draußen Leben gibt?

Tarter: Das erste Mal, an das ich mich erinnere, war im Alter von neun Jahren. Mein Vater und ich spazierten im Sommer in Florida nachts am Strand entlang, umschlossen von Dunkelheit. Er erzählte mir, dass es da oben andere Sterne gebe, wie unsere Sonne, und dass um sie wahrscheinlich auch Planeten kreisen, wie die Erde. In dem Moment fragte ich mich: Könnte es da nicht auch ein kleines Wesen geben, das gerade an einer Küste spaziert, unsere Sonne am Himmel sieht und sich die gleiche Frage stellt wie ich?

ZEIT: Über Ihren Vater haben Sie den schönen Satz gesagt: "Ich war furchtlos, wenn er bei mir war."

Tarter: Ich verbrachte all meine Zeit mit meinem Vater. Ich ging mit ihm jagen, fischen und lernte, meine Haare selbst zu flechten. Er schenkte mir auch mein erstes Transistorradio. Wenn ich es auseinander- und falsch wieder zusammenbaute, sagte er: Versuch’s noch mal! Ich weiß es sehr zu schätzen, dass er an mich und meine Fähigkeit zur Problemlösung glaubte.

ZEIT: Als Sie zwölf Jahre alt waren, starb Ihr Vater überraschend. Was änderte sich danach?

Tarter: Kurz zuvor hatte ich ihm gesagt, dass ich Ingenieurin werden möchte. Ich wusste nicht genau, was das bedeutet, aber viele seiner Freunde waren Ingenieure, und sie hatten ein gutes Leben. Nach seinem Tod wurde ich stur. Meine Mutter wollte, dass ich mehr über den Haushalt lerne und weiblicher werde. Doch ich wollte unbedingt das machen, was ich ihm versprochen hatte. 

ZEIT: In den Fünfziger- und Sechzigerjahren kämpften die USA und die Sowjetunion um die Führung bei der Erkundung des Weltalls. Wie hat Sie das space race beeinflusst?

Tarter: Ich war noch sehr jung, aber ich erinnere mich, wie ich im Schulflur saß und das beep, beep, beep des Sputnik-Satelliten hörte. Die USA waren plötzlich im Hintertreffen, es wurden Wissenschaftler und Ingenieure gebraucht. So wirkte es weniger verrückt, dass ich Ingenieurin sein wollte. Ich bekam sogar ein Stipendium.

ZEIT: Wie war es damals als Studentin für Sie?

Tarter: Es war seltsam. In meinem Jahrgang war ich unter 300 Studenten die einzige Frau. Während die Männer sich die Aufgaben teilten und Lösungen austauschten, musste ich alles allein machen. Ich habe nie Teamwork gelernt – später machte ich viele Fehler bei der Leitung von Teams.

ZEIT: Hatten Sie Vorbilder?

Tarter: Es gab kaum Frauen, zu denen ich aufblicken konnte. Aber als ich einen Kurs zum Thema Sternbildung bei dem Astrophysiker Edwin Salpeter belegte, lernte ich seine Frau Mika kennen. Sie war Biologin, sie forschte, auf Partys tanzte sie und hatte dazu noch Kinder. Sie war mein erstes Vorbild. Damals begann auch mein akademisches Interesse am Weltall.

ZEIT: Mit Ihrem Mann gingen Sie nach Berkeley, studierten Astronomie. Hat der Institutsleiter da wirklich zu Ihnen und anderen Frauen gesagt: "Sie können sich glücklich schätzen, dass all die klugen Männer zum Vietnamkrieg eingezogen wurden"?

Tarter: Ja. Wir wussten nicht, wie wir damit umgehen sollten. Nach dem Gespräch blickten wir uns an und fragten uns: What the fuck? Hat er das gerade wirklich gesagt? Es war absurd. Drei Jahre später hat der Typ dann versucht, mit mir zu flirten.

ZEIT: Wie begann Ihre Suche nach Außerirdischen?

Tarter: Durch Zufall! Während meines Studiums hatte ich als Forschungsassistentin einen PDP-8/S-Computer programmiert, um damit ein optisches Teleskop zu bedienen. Eines Tages kam mein ehemaliger Professor Stu Bowyer zu mir und erzählte, er wolle die von Berkeleys Radioastronomen erhobenen Daten nach technischen Signalen durchsuchen anstatt wie bisher nach astrophysikalischen. Er hatte dafür einen PDP-8/S bekommen und fragte mich, ob ich Teil des Projekts sein wolle. Bowyer gab mir auch den sogenannten Cyclops-Report, worin die Nasa 1971 vorgeschlagen hatte, wie man nach außerirdischen Intelligenzen suchen könnte. Ich dachte: Das ist die größte Frage der Menschheit, und die haben bisher nur Priester und Philosophen beantwortet. Ich war angefixt.

ZEIT: Die Suche wird Seti genannt – kurz für search for extraterrestrial intelligence, also Suche nach intelligenten außerirdischen Lebensformen. Im Jahr 1984 gründeten Sie das gleichnamige gemeinnützige Institut. Was ist der größte Unterschied zwischen Ihrer Suche damals und den heutigen Ansätzen?

Tarter: Als wir begannen, konnten wir die Radiowellen in hundert verschiedene Kanäle aufteilen, heute können wir sie in eine Milliarde Kanäle aufteilen. Früher mussten wir wissen, nach welchem Muster wir suchen, heute können wir künstliche Intelligenzen fragen, ob etwas nach einem Signal aussieht. Früher mussten wir Teleskope mieten, seit 2007 gibt es das Allen Telescope Array mit 42 Teleskopen. Es wurde mithilfe des verstorbenen Microsoft-Mitgründers Paul Allen extra für unsere Suche gebaut.

ZEIT: Kritiker sagen, irdisches Leben sei auf eine seltene Kombination aus astrophysikalischen und geologischen Voraussetzungen zurückzuführen – zum Beispiel ausreichende Kohlenstoff-Vorkommen und die richtige Bahn um einen Stern ...

Tarter: Unser Ego steht uns manchmal im Weg. Wir kennen die Basis der biologischen Evolution und denken, der Mensch sei ihr Höhepunkt. Evolution hat aber keinen Plan. Es ist noch nicht lange her, dass Extremophile entdeckt wurden – Organismen, die unter lebensfeindlichen Bedingungen aufblühen, in kochender Akkusäure oder im Eis. Vielleicht finden wir auf dem Boden eines extraterrestrischen Ozeans Leben?

ZEIT: Wieso glauben Sie, dass Außerirdische unsere Technik nutzen, Radiowellen?

Tarter: Es ist natürlich möglich, dass eine außerirdische Zivilisation eine uns unbekannte Technik nutzt. Wir können halt nur nach dem suchen, was wir kennen. Und Radiowellen sind lang genug, um eine interstellare Distanz zu überbrücken.

ZEIT: Im Universum soll es mindestens zwei Billionen Galaxien geben. Unsere, die Milchstraße, besitzt mindestens 100 Milliarden Planeten. Sollte von einem der Planeten irgendwo wirklich ein Signal kommen: Wäre es nicht viel wahrscheinlicher, es zu verpassen, wenn es auf der Erde eintrifft, als es zu registrieren?

Tarter: Das stimmt. Es müsste ein Signal sein, das über lange Zeit ausgesendet wird. Wir sind aber eine sehr junge Zivilisation und beginnen gerade, erst, Ausschau zu halten.

ZEIT: Das sogenannte Wow!-Signal, das ein Radioteleskop in Ohio im Jahr 1977 empfing, gilt bis heute als vielversprechendstes Signal. Gab es in Ihrer Karriere auch einen Moment, in dem Sie dachten: Wir haben da etwas?

Tarter: Ja, es gab einige falsch positive Signale. Bei einem, im Jahr 1997, war ich so aufgeregt, dass ich zuerst nicht merkte, dass es vom Soho-Satelliten in der Erdumlaufbahn stammte. Davon hat aber die Öffentlichkeit nichts mitbekommen, und das ist auch gut so. Hätte ich etwas mit dem Wow!-Signal zu tun gehabt, hätte man davon auch nichts gehört. Denn man konnte nicht ausschließen, dass es irdischen Ursprungs ist.

ZEIT: Aktuell wird über ein Signal gemutmaßt, das im Jahr 2019 in Australien aufgefangen wurde. Es soll von Proxima Centauri stammen, dem nächsten erdnahen Stern, der auch Planeten besitzt. Noch gibt es keine wissenschaftliche Veröffentlichung dazu. Wissen Sie mehr?

Tarter: Für Schlussfolgerungen ist es zu früh. Die Daten stammen von nur einem Teleskop, dem Parkes-Teleskop. Unser falsch positiver Befund von 1997, von dem ich gerade sprach, kam zum Beispiel zustande, als unser zweites Teleskop beschädigt war und wir keine Kontrollmessungen machen konnten. Zudem wurden die Daten aus Australien erst im Nachhinein von einer Software analysiert – das ist fehleranfälliger, als es in Echtzeit zu tun. Simultane Beobachtungen von mehreren Teleskopen, die weit voneinander entfernt sind: Das ist der Goldstandard. Meine Frage ist auch, wie die Infos überhaupt an die Öffentlichkeit gelangt sind.

ZEIT: Obwohl bis heute Ergebnisse ausbleiben, hat Seti viel Geld und Aufmerksamkeit gebunden. Verstehen Sie, dass sich andere Astronomen distanzieren?

Tarter: Immerhin werden wir nicht mehr wie früher in die Ufo-Ecke gestellt! Wir haben viel Zeit darauf verwendet, unsere Ergebnisse zu publizieren und zu dokumentieren, dass wir ernsthaft wissenschaftlich arbeiten.

ZEIT: Wie wird die Suche nach außerirdischer Intelligenz in Zukunft weitergehen?

Tarter: Es gibt das Programm Breakthrough Listen, bei dem ich im Beirat sitze. Es wurde von Stephen Hawking und dem Unternehmer Juri Milner ins Leben gerufen, er unterstützt uns über zehn Jahre hinweg mit 100 Millionen US-Dollar. Das bedeutet mehr Teleskope und mehr Bandbreite!

ZEIT: Vielen jungen Wissenschaftlerinnen sind Sie ein Vorbild. Ist das etwas, worüber Sie nachdenken?

Tarter: Sehr oft. Das ist der Grund, wieso ich immer unterwegs bin und im ganzen Land Vorträge halte. Vor der Corona-Pandemie war ich die Hälfte der Woche nicht zu Hause. Wenn ich vorne stehe, kann eine junge Frau im Publikum sich vielleicht eher eine Karriere in Technik oder Naturwissenschaft vorstellen. MeToo hat gezeigt, dass wir mehr sichere Räume für Frauen benötigen. Und keine Frau sollte durch diese Flüsternetzwerke der Männer hindurchmüssen, wie ich einst.

ZEIT: Sie sind 76 Jahre alt, gingen 2012 in Rente und arbeiten doch weiter. 

Tarter: Was Seti benötigt, ist eine konstante Förderung. An Universitäten gibt es Stiftungslehrstühle, durch die Forschungsprogramme finanziert werden können. So etwas schwebt mir vor. Ich verwende viel Zeit und Energie darauf, hochvermögende Menschen mit Seti in Kontakt zu bringen. Ich erkläre ihnen, dass dies ein generationenübergreifendes Vorhaben ist. Am Teleskop bin ich nicht mehr allzu oft.

ZEIT: Sie haben eine Enkelin. Glauben Sie, dass es in deren Lebenszeit möglich sein wird, außerirdisches Leben zu finden?

Tarter: Darauf habe ich keine Antwort. Es könnte sein, dass unsere Suche niemals Erfolg hat. Es könnte sein, dass wir allein sind. Das müssen wir zugeben.

ZEIT: Hätten Sie das als junge Wissenschaftlerin auch so gesagt?

Tarter: Nein, ich war zu stur. Die Einsicht kam mit dem Alter. Zum 50. Geburtstag des Seti-Instituts, im Jahr 2010, habe ich mich gefragt: Wenn wir statt des Alls die Weltmeere absuchen würden, wie viel hätten wir schon? Ich habe aus unseren Suchparametern eine Rechnung erstellt, Frequenzen, Positionen, Zeit, Polarisierung und so weiter. Mein Ergebnis war: ein Wasserglas.

ZEIT: Ist Ihr Lebensprojekt gescheitert?

Tarter: Wie könnte ich es für gescheitert halten? In einem der ersten Aufsätze zu Seti schrieb Philip Morrison 1959: "Die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs ist schwer abzuschätzen, aber wenn wir nie suchen, ist sie gleich null." Vielleicht war ich am Anfang aber naiv, mir war nicht bewusst, wie groß der Ozean ist. Letztens habe ich übrigens neu gerechnet: Mittlerweile haben wir statt eines Wasserglases einen Swimmingpool durchsucht.

Foto: Jeremy Thomas